Catharina Margaretha Linck/Anastasius Rosenstengel, Annemarie Schwarzenbach & Sebastian

Catharina Margaretha Linck/Anastasius Rosenstengel: Ein*e frühe*r Kämpfer*in für geschlechtliche Selbstbestimmung

Catharina Margaretha Linck/Anastasius Rosenstengel (*1687 † 8. November 1721) war eine der frühesten bekannten Personen in der Geschichte, die für ihren geschlechtlichen Nonkonformismus und ihre queere Identität verfolgt und hingerichtet wurde. Ihr Leben und Schicksal werfen ein Schlaglicht auf die harten gesellschaftlichen und rechtlichen Bedingungen, unter denen Menschen lebten, die die damals vorherrschenden Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität herausforderten. Linck/Rosenstengel gilt heute als eine der frühesten dokumentierten Transgender- oder queeren Personen im europäischen Raum.

Catharina Margaretha Linck wuchs in einer Zeit auf, in der strenge Geschlechter- und moralische Normen herrschten. Früh begann sie, sich männlich zu kleiden und unter dem Namen Anastasius Lagrantinus Rosenstengel als Mann zu leben. Er diente als Soldat und war in verschiedenen Städten Europas unterwegs, wo er in Männerkleidung auftrat und sich den traditionellen Erwartungen an Frauen widersetzte. In dieser Rolle heiratete er schließlich eine Frau, Catharina Margaretha Mühlhahn, was Rosenstengels Leben nachhaltig beeinflussen sollte. Die Ehe mit Mühlhahn, die auf den ersten Blick einer heterosexuellen Beziehung entsprach, führte dazu, dass Rosenstengels Leben und Identität unter die strenge Kontrolle der Obrigkeit geriet. Als entdeckt wurde, dass Anastasius biologisch weiblich war und einen hölzernen Dildo verwendete, um den Geschlechtsverkehr mit seiner Frau zu vollziehen, wurde er verhaftet und wegen „Sodomie“ und „Betrug“ vor Gericht gestellt. 

Das Gerichtsurteil gegen Anastasius war hart und grausam: Er wurde 1721 in Preußen zum Tode verurteilt und öffentlich hingerichtet. Die Verurteilung basierte auf der Anschuldigung, er habe das Gesetz durch die Vortäuschung eines anderen Geschlechts gebrochen und eine verbotene homosexuelle Beziehung geführt. 

Annemarie Schwarzenbach: Eine Rebellin zwischen Literatur, Reisen und Identitätssuche

Annemarie Schwarzenbach (* 23. Mai 1908 † 15. November 1942) war eine Schweizer Schriftstellerin, Journalistin, Fotografin und Reisende, deren Leben und Werk von einer außergewöhnlichen Unabhängigkeit und einem ständigen Drang nach Selbstfindung geprägt war. Ihre offene Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen, ihre queere Identität und ihr kritischer Blick auf die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche ihrer Zeit machen sie zu einer faszinierenden und wegweisenden Figur der Moderne.

Schwarzenbach wurde in eine wohlhabende und einflussreiche Familie in der Schweiz geboren. Bereits in ihrer Jugend entwickelte sie eine Leidenschaft für Literatur und Reisen und führte ein Leben, das sich jenseits der gängigen gesellschaftlichen Normen bewegte. Sie kleidete sich häufig maskulin und fühlte sich den gesellschaftlichen Konventionen und vorherrschenden Geschlechterrollen entfremdet.

Nach ihrem Studium der Geschichte in Zürich und Paris knüpfte Schwarzenbach enge Beziehungen zu der berühmten Familie Mann, insbesondere zu Erika und Klaus Mann, die selbst bedeutende literarische Persönlichkeiten und ebenfalls queer waren. Diese Freundschaften prägten Schwarzenbachs weiteres Leben und Werk nachhaltig. Sie schrieb Romane, Essays und Reportagen, die sich oft mit Themen wie dem Außenseitertum, Identitätsfragen und der Suche nach Freiheit in einer sich rasch verändernden Welt auseinandersetzten. In den 1930er Jahren bereiste Schwarzenbach weite Teile Europas, den Nahen Osten, Amerika und Afrika. Ihre Reisen waren geprägt von einer Suche nach einem Ort, an dem sie sich selbst finden und ihren inneren Konflikten entfliehen konnte. Sie dokumentierte ihre Erfahrungen in literarischen und fotografischen Arbeiten, die eine tiefe Melancholie, aber auch einen klaren Blick auf die politischen und sozialen Missstände ihrer Zeit widerspiegelten. Besonders bekannt sind ihre Reiseberichte aus dem Iran und Afghanistan, in denen sie den Zauber und die Herausforderungen des Reisens in diesen Regionen festhielt.

Politisch engagierte sich Schwarzenbach gegen den aufkommenden Faschismus und Nationalsozialismus in Europa. Ihre Reisen führten sie auch in die USA, wo sie als Reporterin arbeitete und über die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise berichtete. Ihre scharfsinnigen Beobachtungen und ihr kritischer Blick auf die Entwicklungen in Europa und den USA zeigten, dass sie die Ungerechtigkeiten ihrer Zeit nicht schweigend hinnahm.

Schwarzenbachs Leben war von inneren Konflikten und persönlichem Schmerz geprägt. Sie kämpfte mit ihrer sexuellen Identität und lebte in einer Zeit der Tabuisierung von Homosexualität offen als lesbische Frau. Gleichzeitig litt sie unter Drogenabhängigkeit und Depressionen. 1942 starb Annemarie Schwarzenbach tragisch jung an den Folgen eines Unfalls. Ihr Werk geriet in Vergessenheit, doch in den letzten Jahrzehnten wurde Annemarie Schwarzenbachs Bedeutung als Schriftstellerin, Reisende und queere Pionierin neu entdeckt. 

Sebastian: Ein Queerer Heiliger und Symbol des Widerstands

Der heilige Sebastian, ein frühchristlicher Märtyrer aus dem 3. Jahrhundert, hat sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem der bedeutendsten Heiligen der katholischen Kirche entwickelt. Über seine religiöse Bedeutung hinaus gilt er heute auch als eine Ikone der queeren Kultur, insbesondere in der schwulen Gemeinschaft. Sein Leben, sein Märtyrertum und seine kunsthistorische Darstellung haben ihm eine symbolische Rolle als queerer Heiliger verliehen, die auf faszinierende Weise mit Themen wie Schönheit, Schmerz, Identität und Widerstand verbunden ist.

Sebastian war ein römischer Soldat, der heimlich zum Christentum konvertierte und durch seine Missionstätigkeit und seinen Glauben am kaiserlichen Hof in Rom auffiel. Als seine christliche Überzeugung bekannt wurde, ließ Kaiser Diokletian ihn zum Tode verurteilen. Sebastian wurde daraufhin von römischen Bogenschützen an einen Baum gebunden und mit Pfeilen durchbohrt – eine Szene, die später zu einem der am häufigsten dargestellten Motive der christlichen Kunst werden sollte. Sebastian überlebte jedoch dieses Martyrium zunächst und wurde von der Witwe Irene gesundgepflegt. Später wurde er erneut gefangen genommen und schließlich zu Tode geprügelt.

Der Grund, warum der heilige Sebastian in der queeren Kultur eine so zentrale Rolle spielt, liegt in der Art und Weise, wie er in der Kunst dargestellt wurde. Besonders in der Renaissance, im Barock und später im 19. Jahrhundert wurde Sebastian oft als junger, schöner und fast nackter Mann abgebildet, dessen Körper von Pfeilen durchbohrt ist, dabei jedoch erstaunlich friedlich und erhaben wirkt. Diese Darstellungen betonten seine jugendliche Schönheit, seinen muskulösen Körper und gleichzeitig seine Verletzlichkeit und seinen Schmerz. Es war eine ästhetische und emotionale Darstellung, die viele Künstler und Betrachter, insbesondere in der schwulen Gemeinschaft, tief ansprach.

Die Bilder von Sebastian zeigen nicht nur den physischen Schmerz des Märtyrertums, sondern auch eine subtile Erotik, die ihn zu einem Symbol der homosexuellen Sehnsucht und Identifikation machte. Sein leidender Körper, ausgestellt und doch ungebrochen, wurde zu einer Metapher für den queeren Widerstand gegen Unterdrückung und Verfolgung. In einer Zeit, in der Homosexualität kriminalisiert und verfolgt wurde, sahen viele schwule Männer in Sebastian eine Figur, die für ihre eigenen Kämpfe und Schmerzen stand – die Einsamkeit, den gesellschaftlichen Ausschluss und das stille Leiden unter den Normen einer feindlichen Gesellschaft.

Auch Sebastians Widerstand gegen die römische Autorität, sein Festhalten an seinem Glauben trotz Verfolgung und seine Weigerung, sich zu verleugnen, wurden zu Symbolen des queeren Widerstands. Er verkörpert den Mut, trotz Gefahr und Verfolgung treu zu sich selbst zu stehen – eine Eigenschaft, die besonders in Zeiten der Unterdrückung von queeren Menschen inspirierend war.

Ab den 1980er Jahren, während der AIDS-Krise, gewann die Figur des heiligen Sebastian (der in der katholischen Tradition auch als Pest-Heiliger verehrt wird) in der LGBTQ+-Gemeinschaft erneut an Bedeutung. Seine Darstellung als ein verletzter, aber würdevoller Heiliger, der den Schmerz erträgt und überlebt, wurde zu einem Symbol für die schwule Gemeinschaft, die sich inmitten einer tödlichen Pandemie und der damit verbundenen gesellschaftlichen Stigmatisierung wiederfand. Künstler wie Derek Jarman griffen das Bild von Sebastian in Filmen und Kunstwerken auf, um die Verbindung zwischen Schönheit, Schmerz und den Kämpfen der LGBTQ+-Gemeinschaft zu betonen.

Heute bleibt der heilige Sebastian ein kraftvolles Symbol für viele queere Menschen. Er steht nicht nur für spirituellen Trost, sondern auch für die Stärke und den Mut, gegen soziale und religiöse Normen zu kämpfen, sich gegen Unterdrückung zu wehren und eine Identität zu leben, die von der Gesellschaft nicht immer akzeptiert wird. In diesem Sinne ist der heilige Sebastian weit mehr als ein Märtyrer des frühen Christentums – er ist eine queere Ikone, die sowohl historische als auch moderne Kämpfe für Freiheit und Selbstbestimmung widerspiegelt. Hier ist er mit den Gesichtszügen des 1991 an den Folgen von AIDS verstorbenen Queen-Sängers Freddy Mercury dargestellt.